Donnerstag, 20. Oktober 2022

Der "echte" Grund fürs Reisen in die Capitale

 So, liebe Leut:

Einige von euch wussten ja, warum ich seit neuestem dauernd nach Lissabon fliege. Selbst wenn die Capitale natürlich Grund genug wäre... der "echte" Grund war ein anderer.

Bei mir wurde Anfang Juli 2022 ein Basalkarzinom diagnostiziert. Die Diagnose erfolgte zwar im (privaten) HPA Alvor, und ich war dort auch auf Anraten des Dermatologen beim plastischen Chirurgen (denn das relativ große Basaliom könne nur der entfernen). Ich bin aber trotzdem (auch aus Kostengründen, ganz ehrlich gesagt), in mein hiesiges (staatliches) Centro de Saúde gegangen.
Termin dort war zwei Wochen später. "Meine" Familienärztin sah sich den vorliegenden Befund an und überwies mich nach Lissabon. Sie teilte mir mit, die Untersuchung würde innerhalb von 80 Tagen (weil keine urgência, also kein dringender Notfall) erfolgen.
Aus Lissabon bekam ich etwa drei Wochen später eine schriftliche Benachrichtigung, dass meine consulta dort für 19. September um 14 Uhr angesetzt war.
Nun ging die Zackersche Planung los: Ich wusste ja über Helmut von SevenAir und hab nach Hin- und Herüberlegen und mehrmaligem Emailkontakt zum CHUL (Centro Hospilatar Universitário de Lisboa) beschlossen, zumindest eine Strecke zu fliegen. Rückflug am selben Tag ging sich leider nicht aus, weil man mir nicht sagen konnte: Wie lang muss ich warten? Also hab ich einen relativ späten Bus gebucht (den ich dann, weil alles ratzfatz ging, spontan und vor Ort auf einen frühnachmittäglichen umbuchen musste/konnte).

Besuch 1 - consulta

Termin war 14 Uhr. Ich war ca. 10 Minuten früher da. Einchecken am PC der recepção unter Mithilfe eines freundlichen Angestellten, dann Wartesaal mit noch einer recepção, wo ich sofort drankam und wo alle Kontaktdaten abgeglichen wurden. Dann hinsetzen und warten. 14:05 wurde ich aufgerufen zu Doutora Joana. Eingehende Beratung und Hautscan des Oberkörpers sowie Nachfrage, ob's irgendwo sonst ein Fleckchen gäbe, dass sie sich auch noch anschauen sollte. Hinzurufen des späteren Operateurs, Doutor Rodrigo (ein Schnuckelchen). Sehr angenehme Atmosphäre, ich fühlte mich gut und eingehend beraten. Beide Docs sprachen Englisch, der Rest der Bevölkerung im CHUL Portugiesisch. Da musst ich halt durch und merkte: So schlimm ist das gar nicht. Nur etwas ungewohnt, wenn man an der Algarve lebt.

Als Termin für die OP wurde der 28. November angesetzt, leider zu einer Zeit, wo ich den Frühflug nicht nehmen konnte. Hieß: einen Tag vorher anreisen. War's mir aber wert. Und eine Nacht in Lissabon - warum nicht?! Wobei mir Doutora Joana sagte: "Es kann gut sein, dass wir Sie früher drannehmen. Wir arbeiten momentan Montag bis Samstag. Wenn was frei wird, melden wir uns." Dran geglaubt hab ich nicht, wohl aber gehofft. Sicherheitshalber aber Hotel und Hundepension für 28.11. klargemacht.

antecipação - Vorverlegung

Vergangenen Mittwoch, ich speiste gerade vorzüglich mit guten Bekannten im Luar da Foia, kam ein Anruf aus Lissabon. Ob ich denn am Montag, 17. Oktober kommen könne? Ich konnte.
Danach ging wieder die Zackersche Rödelei los: Hotel stornieren und neues buchen (unter Mithilfe von Ilona - obrigadíssima mais uma vez), Flüge buchen (diesmal Hin- und Rückflug: juhu), Hundepension umbuchen.
Weil SevenAir leider nicht sonntags fliegt, durfte ich schon am Samstag in die Capitale und hatte daher die willkommene Gelegenheit, von einem Gruppenmitglied als Stressausgleich während der Coronazeiten leichtsinnigerweise angebotene Gin&Tonic-Genüsse einzufordern. Meiner Forderung wurde bestens entsprochen. Noch'n obrigadíssima an Heino und seine liebe Frau Bettina.

Besuch 2 - die OP

Ich sollte mich ca. 9.15 im Sekretariat der ambulanten dermatologischen Chirurgie melden. Hab die auch endlich gefunden - nach 2x Nachfragen und in den Katakomben eines nicht sehr modernen Gebäudes. Einrichtung und alles andere aber: modernstens. Sieht man mal wieder: "Äußerer Schein trügt".
Es gab eine etwas längere Wartezeit von etwa 30 Minuten, aber gegen 10:15 (angedacht war 9:45) war ich im OP.
Sehr sehr freundliche Krankenschwestern - unheimlich hilfsbereit, alles erklärt und geholfen, wo es nur ging. Dann kam Schnuckelchen Dr Rodrigo mit einem Dr Miguel. Lokalanästhesie, Krankenschwester hielt Händchen weil: "Das ist der unangenehmste Part für Sie". Danach hat man gefühlt ewiglich an mir rumgeschnibbelt. Ich dachte, es würde bereits genäht, aber nein: "Der Tumor ist groß und war sehr tief, aber jetzt ist er draußen."
Dann wollte Dr. Rodrigo, dass ich ihn anlächle und anlache - damit er genau weiß, wie meine Mimik funktioniert und er die Nähte richtig setzen kann. "Weil, Dona Cristina, Ihr Lachen - das sind Sie!" Sowas hört frau gerne, so viel Narkose gibt's nicht, dass ich so etwas nicht höre.
Um 11:45 war ich wieder draußen. Dass das Ganze länger dauerte als "normal" wusste ich, als Dr Rodrigo mir sagte, er hätte genügend Drogen ("lots of stuff") im Haus, wenn es also irgendwo anfinge zu zwicken, würde er nachanästhesieren. Nahm ich gerne in Anspruch. Wieder mit Händchenhalten der Krankenschwester. Dr Rodrigo weigerte sich allerdings, mit mir einen schwunghaften Drogenhandel in der Serra de Monchique zu beginnen. Weiß gar nicht, warum er das nicht will, aber jetzt könnt ihr euch vielleicht besser die für mich locker-angenehme Atmosphäre im OP vorstellen...
Von der Krankenschwester wurde mir noch zugeflüstert, dass Doutor Rodrigo der beste überhaupt sei (ich nehme mal an, als Operateur, nicht als Dealer!). Und das sagte sie auf Portugiesisch UND Englisch, damit ich's bestimmt versteh.
Kurz vorm Rausgehen bekam ich ein Riesenmerkblatt mit genauem OP-Hergang und Anweisungen zu Verbandwechsel/Fädenziehen fürs CdS hier in Monchique. Außerdem mehrere Packungen Salben zur Behandlung Tag/Nacht, wenn die Fäden gezogen sind. Und man wies deutlich und mehrfach darauf hin: "Wenn irgendwas unklar ist, wenn Sie noch irgendetwas wissen wollen oder brauchen: Rufen Sie an oder mailen Sie uns!"
Heimflug war ok - die FFP2-Maske, die ich sowieso trage, hat den Verband komplett abgedeckt.


UPDATE 1 - erster Nach-OP-Tag

Daheim, aber noch hundelos. Denn kurz vor Start gestern in Tires (Stadtflughafen Cascais) hörte die Betäubung auf zu wirken und der Wundschmerz fing an. Deshalb bin ich gleich heim, nur kurz noch zur Apotheke.
Heute gegen Mittag ein Anruf vom CHUL: die gestrig amtierende Krankenschwester von der OP. Enfermeira Silvia wollte sich erkundigen, wie es mir ginge, ob ich irgendetwas bräuchte, ob alles geklappt hätte für morgen mit dem Termin zum Verbandwechsel. Hatte es. Und wenn ich das Antibiotikum nicht gut vertrage (was leider der Fall ist, ich kenn das schon) - eine Email genüge und sie wechseln das Präparat. Das Rezept käme wie üblich in Portugal per SMS. Wir haben vereinbart, eine Nacht probier' ich's noch.


UPDATE 2 - zweiter Nach-OP-Tag

Nachdem das Antibiotikum leider etwas zu heftig "anschlug", hatte ich gestern Nacht doch noch eine Email geschrieben. Und heute morgen keine Tablette genommen, weil auf der recht kurzen Fahrtstrecke in unser Centro de Saúde leider nicht alle 20 Meter eine Toilette steht (wenn ihr wisst, was ich meine!).

Termin dort war um 10 Uhr. Gegen 9:30 Anruf von Enfermeira Silvia aus Lissabon: "Entschuldigen Sie, dass ich erst jetzt anrufe." (Wie bitte? Es ist grad mal halbzehn. Da liegt frau mit Schmusehund, den ich nachher endlich heimhole, normalerweise noch im Bett.)
"Geht's Ihnen gut? Ich habe mit dem Arzt gesprochen, der Sie operiert hat. Er meint, wenn Sie keine Beschwerden haben, können Sie das Antibiotikum weglassen. Aber wenn irgendwas ist: Bitte melden!"
Juhu!
Im CdS klappte alles schnell und reibungslos: einchecken via recepção, kein Mensch vor mir, sofort um 10 drangekommen. Zehn Minuten später war ich wieder draußen.
Hab das Foto angefügt, wie die Wunde jetzt aussieht, ca 48 Stunden nach der OP. Dr Rodrigo ist ein Künstler, ein Meister seines Fachs!
Nächster Termin im CdS zum Verbandwechsel ist am Freitag und am Montag, den 24. Oktober, kommen die Fäden raus.



UPDATE 3 - vierter Nach-OP-Tag

Ich kühle nach wie vor ein paarmal täglich mit Eis (nachdem ich's am ersten Abend völlig vergessen hatte). Heute um 15:15 war Termin im CdS zum Verbandwechsel. Diesmal musste ich doch tatsächlich 10 Minuten warten. Beide Krankenschwestern sprachen "nur" Portugiesisch, ist aber glücklicherweise kein Problem. Die Wunde "está muita boa" - und wir waren uns einig, dass Dr Rodrigo ein "artista" ist. Bis zum Faden-ziehen-Termin am Montag soll ich noch kühlen, das würde nix schaden. Und schon war ich wieder draußen - im strömenden Regen...

UPDATE 4 - genau 1 Woche nach der OP 

Nach wie vor bin ich mehr als angetan - geradezu begeistert von der Arbeit Dr Rodrigos: 9 Mini-Mini-Stiche, wie mir die Krankenschwester im CdS in Monchique vorzählte. Man sieht jetzt schon kaum was, wenn ich lache. Und das Lachen hab ich ja glücklicherweise behalten... 



UPDATE 5 - vier Wochen nach der OP

Mittags klingelt mein Handy - die nette Schwester Silvia aus der Dermatologie in Lissabon ist dran. Sie will sich erkundigen, wie es mir geht, ob alles ok und gut verheilt ist. Ist es! Hab dann gleich die Gelegenheit genutzt, sie zu bitten, dass das Antibiotikum, auf das ich so heftig reagiere, in meiner "Akte" beim SNS entsprechend eingetragen wird. Man weiß ja nie... wenn was passiert und ich eingeliefert werde, liegt diese Info (neben den anderen Medikamenten und Medikamentenallergien) dann eben schon vor. Kann nicht schaden...

Warum ich das so ausführlich berichte?

Mich regt oft die aus Unwissenheit oder - schlimmer noch! - Arroganz getroffene Ansicht etlicher Residenten auf, dass das portugiesische Gesundheitssystem ganz furchtbar mies sei, vor allem im Vergleich zum deutschen.
Ich kann euch nur sagen:
Ich habe mich niemals, weder in Deutschland als Privatpatientin noch als GKV-Versicherte, auch nur ansatzweise so empathisch und rundherum gut betreut gefühlt wie jetzt im staatlichen SNS.
Ok, auf "meinen" Kardiologen und die Krankenpflege im HPA Alvor lasse ich auch nichts kommen.

Aber was ich beschreibe, geschah/geschieht im oft so verschrienen staatlichen System Portugals. Und in einer Großstadt, wo man tagtäglich Tausende Patient*innen durchschleust.
Zwei Freundinnen berichten mir, dass sie nach ihren Brustkrebs-OPs praktisch eine Standleitung zum Hospital Barlavento hatten - das ist das ebenfalls oft geschmähte Krankenhaus in Portimão. Standleitung nicht wegen Beschwerden ihrerseits, sondern weil man sich hingebungsvoll immer wieder erkundigte, ob alles in Ordnung sei, ob man was bräuchte.
Mir ist klar, dass dies nicht überall in Portugal so klappt, dass es sicher andere, negative Erfahrungen gibt. Nur: Die gibt's in Deutschland wahrlich auch.
Wenn ich die Wahl habe, bevorzuge ich Portugal. Eindeutig.